Anne Schwanz ist Mitgründerin der Galerie Office Impart, die sich als Plattform für zeitgenössische Kunst versteht. Zuvor arbeitete die Kunstwissenschaftlerin über 10 Jahre als Senior Director einer internationalen Berliner Galerie. Anne ist Mitbegründerin der Forschungsinitiative Art+Tech Report, welche die Schnittstelle zwischen Kunst, Markt und Technologie betrachtet.
Hallo Anne, ein Marilyn-Monroe-Portrait von Andy Warhol ist gerade für 195 Millionen US-Dollar versteigert worden und gilt als teuerstes Kunstwerk des 20. Jahrhunderts. Wie kommt ein solcher Preis zustande?
Solche extremen Preise werden gerne von den Medien aufgegriffen. Sie sind aber nicht repräsentativ und beziehen sich nur auf ganz besondere Arbeiten. Der durchschnittliche Preis für ein Kunstwerk liegt in der Europäischen Union (EU) bei unter 10.000 Euro. Kunstsammler*innen kommen nicht unbedingt nur aus einer vermögenden Schicht. Das Sammeln von Kunst ist vielen Leuten möglich. Der Preis eines Kunstwerkes hat ganz viel mit den Künstler*innen zu tun: mit der Ausbildung, der Karrierestufe, der Teilnahme an Ausstellungen oder dem Brancheninteresse. Der Preis sollte über die Jahre und mit der Karriere wachsen. Dafür müssen Künstler*innen aber auch gute Partner*innen haben – Galerien, Institutionen, Museen und Kritiker*innen. Oft ist es für Künstler*innen besser, mehr Arbeiten für geringere Preise zu verkaufen, als eine Arbeit für einen hohen Preis. Denn dadurch partizipieren viel mehr Menschen an ihrer Kunst, sodass sich Reichweite und Netzwerk vergrößern. Künstler*innen sollten immer langfristig denken.
Inwiefern eignet sich Kunst als Geldanlage?
Beim Kunstkauf geht es in erster Linie um Leidenschaft. Das merke ich auch in meiner Rolle als Galeristin. Meine grundsätzliche Empfehlung an Käufer*innen ist: Kauf ein Kunstwerk vor allem, weil es dir gefällt. Denn du musst mit der Kunst leben, im eigenen Wohnzimmer, dem Flur oder auch der Küche.
Auch wenn Kunst häufig als Investition angesehen wird, sollte dies nicht die Grundmotivation sein, um Kunst zu kaufen.
Anne Schwanz, Mitgründerin der Galerie Office Impart
Im Einzelhandel geben Online-Portale wie Amazon den Ton an. Wie kauft man Kunst heutzutage?
Der Kunstmarkt könnte eigentlich noch viel digitaler werden. Unser Art+Tech-Report aus dem letzten Jahr hat sich damit beschäftigt, wie Kunst online angeschaut und gekauft wird. Das Spektrum ist sehr breit und geht von Online-Shops mit Klick & Buy-Optionen bis hin zu klassischen Galerien, die Originale vor Ort ausstellen. Für uns ist es ganz klar keine Entweder-Oder-Entscheidung mehr, wie ein Kunstkauf abläuft. Im Zweifelsfall können Käufer*innen gar nicht mehr unterscheiden, ob sie ein Kunstwerk zuerst im Original oder digital gesehen haben, bevor sie es erworben haben.
Und wie digital ist der Kunstmarkt insgesamt?
Die Digitalisierung ist auch in der Kunstbranche nicht mehr aufzuhalten. Dadurch haben sich aber auch die Dynamiken auf dem Kunstmarkt verändert. Etablierte Strukturen werden hinterfragt und herausgefordert. Der klassische Weg, dass Künstler*innen immer mit einer Galerie arbeiten und nur über sie verkaufen, ist nicht mehr das einzige Modell.
Künstler*innen sind durch die digitalen Medien viel öffentlicher und direkter erreichbar. Preise werden offen kommuniziert.
Anne Schwanz, Mitgründerin der Galerie Office Impart
Neben dem Kunsthandel werden auch Kunstwerke immer digitaler. Wie können wir uns ein digitales Kunstwerk vorstellen und welche Formen kann es haben?
Digitale Kunst ist etwas, das es seit den 1950er-Jahren mit der Entwicklung des Computers gibt. Seither hat sie sich parallel zur Technologie weiterentwickelt und Künstler*innen haben stets sehr viel auf diesem Feld experimentiert. Auf dem Kunstmarkt gab es in den 1990er-Jahren schon eine Welle, in der digitale Kunst sehr interessant wurde. Jetzt gibt es mit der Entwicklung der Blockchain wieder eine neue Welle der Aufmerksamkeit, was sehr spannend ist. Digitale Kunst kann alles sein, was digital erschaffen wurde oder wo digitale Technologien die Werkzeuge sind. Sie kann viele Formen haben: von der jpg-Datei über eine Webseite, algorithmische Programme, Virtual-Reality-Darstellungen bis hin zu einem Videospiel. Der Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt.
Digitale Kunstkann alles sein, was digital erschaffen wurde oder wo digitale Technologien die Werkzeuge sind.
Anne Schwanz, Mitgründerin der Galerie Office Impart
Kannst du uns Beispiele nennen?
In unser letzten Ausstellung „NfTNeTArT. From Net Art to Art NFT“ haben wir neun internationale Künstler gezeigt, die algorithmische oder generative Systeme als ihre künstlerische Sprache verwenden. Ihre Werkzeuge sind digitale Codes und Automatismen, die sich in einer Vielzahl von einzigartigen und faszinierenden Ästhetiken manifestiert haben. Dazu gehörten zum Beispiel die Arbeiten //OG flowers// von Cornelia Sollfrank, in denen sie Fragen der digitalen Urheberschaft, der Originalität, des Urheberrechts und des Eigentums am Beispiel der ikonischen Warhol-Blumen untersucht. Oder das Werk „What you get is what you see“ von Jonas Lund, eine browserbasierte Arbeit, in der der Besuch der Website visualisiert wird und dann eine individualisierte Darstellung als NFT erschaffen werden kann.
Im Mai 2021 hat die DKB in Kooperation mit CAA Berlin erstmals einen Kunstpreis für Virtual Reality (VR) im Bereich der bildenden Kunst vergeben. Im Fokus des Preises steht die künstlerische Auseinandersetzung rund um die gesellschaftlichen Auswirkungen von Digitalisierung und technologischem Fortschritt. Der VR KUNSTPREIS der DKB wird im September 2023 wieder vergeben.
Was unterscheidet deiner Meinung nach digitale von analoger Kunst?
Ich sehe eigentlich keinen Unterschied. Bei einem guten Kunstwerk steht vor allem das künstlerische Konzept im Vordergrund. Ein digitales Kunstwerk existiert im digitalen Raum. Das heißt aber nicht, dass es weniger real ist. Die Art der Wahrnehmung ist nur eine andere und darauf muss man sich einlassen. Ein immersives Kunstwerk, das man betreten kann und das mit Sound und Licht arbeitet, erfährt man zum Beispiel ganz anders, als eine kleine Zeichnung. Digitale Kunst ist einfach ein eigenes Medium und gleichzusetzen mit Malerei, Fotografie oder Architektur. Grundsätzlich geht es darum, welches Konzept hinter dem Kunstwerk steht, ob es gefällt oder ob ich persönliche Anknüpfungspunkte finde.
Non-Fungible Token (NFTs) sind gerade ein Hype-Thema. Welche Chancen bieten NFTs für den Kunsthandel?
Die große Chance sehe ich darin, dass digitale Kunst als ein eigenständiges Medium sichtbarer und durch die Entwicklungen der Blockchain-Technologie direkter handelbar werden.
Durch NFTs wird die Idee von digitalem Besitz noch einmal neu in den Fokus gerückt.
Anne Schwanz, Mitgründerin der Galerie Office Impart
Verändern Art-NFTs den Kunstbegriff und was darunter zu verstehen ist?
Digitale Kunst ist bereits eine etablierte Kunstform und wird das auch bleiben. NFTs werden in der Zukunft aber einen großen Einfluss auf die Kunst haben. Die neuen Ästhetiken werden Künstler*innen und das traditionelle Kunstverständnis beeinflussen, ebenso die Produktionsmechanismen. Kunst ist immer sehr stark mit der gesellschaftlichen Entwicklung verbunden.
Welche Tipps kannst du als Galeristin Menschen geben, die in Kunst investieren möchten?
Ein paar allgemeine Regeln kann jeder befolgen: Ein breites Portfolio an Kunstwerken ist auf Dauer chancenreicher, als nur auf eine*n Künstler*in zu setzen. Eine langfristige Orientierung steigert ebenfalls die Chance auf einen Wertgewinn. Im Kopf sollte man aber behalten, dass man in erster Linie etwas kauft, das keinen Gebrauchswert hat. Kunst fordert den Intellekt heraus und ist vor allem auf gesellschaftlicher Ebene ein wichtiger Motor für Fortschritt.
Ein breites Portfolio an Kunstwerken ist auf Dauer chancenreicher, als nur auf eine*n Künstler*in zu setzen.
Anne Schwanz, Mitgründerin der Galerie Office Impart