Arnulf Keese ist Vorstandsmitglied der DKB AG und leitet die technische Transformation der Bank. Der studierte Physiker war Mitglied der Geschäftsführung der AOL Deutschland GmbH, Mitbegründer und Geschäftsführer des Bezahlverfahrens giropay sowie Geschäftsführer für die DACH-Region des Online-Bezahldienstes PayPal. Zuletzt war Arnulf Keese als General Partner bei der internationalen Investoren-Gruppe eVentures tätig.
Hallo Arnulf, Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Trendthema, mit dem viele Hoffnungen verbunden sind. Genauso viele Definitionen scheint es von diesem Begriff zu geben. Was ist für Dich Künstliche Intelligenz?
Arnulf Keese: Zunächst einmal muss ich sagen, dass der Begriff der Künstlichen Intelligenz nicht neu ist. Er begleitet mich schon seit meiner Kindheit. Damals war er aber mehr eine Vision davon, dass Maschinen selbst denken und schlauer werden könnten als der Mensch. In meiner Universitätszeit in den Achtzigern und Neunzigern wurde bereits Software entwickelt, von der man annahm, dass sie eigenständig Probleme lösen könne. Man hatte aber schlichtweg nicht die Hardware, um sie auszuführen. Das ist heute anders. Computer sind viel leistungsfähiger geworden. Entsprechend gibt es ganz neue Möglichkeiten. Für mich ist der Begriff Künstliche Intelligenz aktuell vor allem geprägt durch das maschinelle Lernen. Dadurch sind Maschinen heute in der Lage, Probleme zu lösen, von denen vor 20 Jahren nur geträumt worden ist.
Wie unterscheidet sich Künstliche Intelligenz dabei von menschlicher Intelligenz?
Arnulf Keese: Künstliche Intelligenz ist vor allem sehr gut darin, in kurzer Zeit riesige Datenmengen mithilfe maschineller Lernverfahren zu analysieren, Muster zu erkennen und daraus Handlungen abzuleiten. Ein gutes Beispiel ist eine Schachpartie: Ein Mensch wird vermutlich nie wieder ein Schachspiel gegen einen Computer gewinnen können.
Der Vorteil menschlicher Intelligenz ist, dass wir in nichts herausragend gut, aber in vielen Dingen ziemlich gut sind.
Arnulf Keese, Digital- und IT-Vorstand der DKB
Künstliche Intelligenz kommt auch immer mehr im Alltag zum Einsatz. Wo bist Du am heutigen Tag schon damit in Berührung gekommen?
Arnulf Keese: Also mein Auto versucht mir regelmäßig den Eindruck zu vermitteln, dass es gewisse Formen der Künstlichen Intelligenz besitzt. Dabei geht es aber eher darum, einfache Regeln zu befolgen. Für mich ist es simpel, die Fahrbahnmarkierung zu erkennen, aber selbstfahrende Autos kämpfen damit noch genug. Da merkt man die Unzulänglichkeiten der Anfänge. Die Personalisierung von Services klappt heute schon besser. Es gibt persönliche Musik-Playlists, die individuell für mich zusammengestellt werden oder Online-Shops, die mir neue Kleidungsstücke empfehlen. Die Frage hier ist aber, wie viel Künstliche Intelligenz steckt dahinter? Dass mein Verhalten auf Basis von Häufigkeiten statistisch analysiert wird, da bin ich mir sehr sicher, ob das aber immer mit maschinellen Lernverfahren passiert, weiß ich nicht. Am Ende braucht man vielleicht gar keine Künstliche Intelligenz, um mir einen neuen Pullover auszusuchen.
Komplizierter ist es vielleicht beim Thema Finanzen. Wo nutzt die DKB aktuell schon KI-Lösungen?
Arnulf Keese: Bei der DKB haben unsere Data-Science-Teams bereits Projekte gestartet. In der Buchhaltung testen wir eine erste Lösung, um eingegangene Rechnungen schneller zu bearbeiten. Dafür werden zum Beispiel die Rechnungsabsender automatisch erkannt, um manuellen Aufwand und Falscheingaben zu reduzieren. Darüber hinaus schauen wir uns an, wie wir Kunden-E-Mails per Inhaltsanalyse vorsortieren und automatisiert dem richtigen Ansprechpartner zuweisen können. Dies sind nur einige der positiven Beispiele und Entwicklungen für KI-basierte Lösungen der DKB, die dem Kunden zugutekommen und mehr Nutzen bringen. Schließlich werden wir KI aber auch zur Wartung unserer Banksysteme einsetzen, um Reaktionsgeschwindigkeiten zu optimieren.
Unabhängig von der Bankenbranche, was sind für Dich die innovativsten Unternehmen in diesem Bereich?
Arnulf Keese: Hinsichtlich Innovationsfähigkeit und der Zahl an Mitarbeitern, die an KI-Lösungen arbeiten, sind vor allem Google, Amazon, Facebook und Apple zu nennen – die sogenannten GAFAs. Sie haben riesige Datenmengen, mit denen sie ihre Systeme trainieren und ihr Geschäft optimieren können – das sind richtige Innovationstreiber. Im Hardwarebereich muss man IBM nennen, die eigene Mikroprozessoren herstellen und ihren Supercomputer Watson auch stark bewerben.
Nicht jede Datentabelle ist schon Künstliche Intelligenz. Manchmal wird das aber so verkauft.
Arnulf Keese, Digital- und IT-Vorstand der DKB
Wo hakt man da nach und wie trennt man die Spreu vom Weizen?
Arnulf Keese: Also ich würde immer nach dem Datenvolumen fragen: Wie viele Daten haben sie, wie viele kommen sekündlich dazu und wie werten sie diese aus? Wenn ein Unternehmen dann sagt, wir machen das mit Excel, dann weiß ich, die haben lediglich 100.000 oder 200.000 Zeilen zur Verfügung. Das entspricht höchstens ein paar Megabyte. Das ist sehr wenig und KI-Anwendungen mit wenig Daten zu machen, ist nahezu unmöglich heutzutage.
Wo genau liegt denn die Komplexität dabei?
Arnulf Keese: Künstliche Intelligenz arbeitet im Prinzip so wie wir Menschen. Alles, was wir millionenfach gesehen haben, können wir echt gut erkennen und von anderem unterscheiden. Wenn ein KI-System zum Beispiel lernen soll, Katzenbilder zu erkennen, muss man es entsprechend trainieren. Man füttert das System also mit vorhandenen Daten, in diesem Fall mit Aufnahmen von Katzen. So lernt es nach und nach, die besonderen Merkmale des Tieres zu erkennen. Dabei gilt: Mit je mehr Bildern ich das System trainiere, desto besser wird es. Mit wenigen Trainingsbildern kann ich also noch keine valide Aussage treffen. Schließlich gibt es noch Milliarden von anderen Katzenbildern im Internet. Insofern wäre die Wahrscheinlichkeit, dass mein KI-System eines davon erkennt, sehr gering.
Sind Daten also ein Wettbewerbsvorteil? Die innovativsten Unternehmen sitzen auf riesigen Datenbergen.
Arnulf Keese: Für die GAFAs gehören Daten zu ihrem Geschäftsmodell. Ihre Services sind darauf ausgerichtet, mehr Daten zu generieren. Für KI-Entwickler stellen sie aber auch viele Werkzeuge und Infrastruktur zur Verfügung. Amazon Web Services zum Beispiel bietet als Cloud-Dienstleister gewaltige Speicher- und Rechenkapazitäten. Deren Geschäftsmodell ist: Ich verkaufe dir meinen Speicherplatz sowie meine Rechenleistung und du kannst damit innovative KI-Software für deine individuellen Bedürfnisse entwickeln. Natürlich muss man dafür bezahlen, aber so kann jedes mittelständische Unternehmen oder Start-up im KI-Bereich mitspielen.
Wie können mittelständische Unternehmen von Künstlicher Intelligenz profitieren?
Arnulf Keese: Ich kann mittelständischen Unternehmen nur raten, die aktuellen Möglichkeiten zu nutzen und nicht darauf zu warten, bis andere Unternehmen wie Google oder Amazon das Problem für einen lösen. Ich bin überzeugt davon, dass in den nächsten 10 bis 20 Jahren die Daten in einer Maschine den größeren Mehrwert bieten werden als die Hardware.
In den nächsten 10 bis 20 Jahren werden die Daten in einer Maschine den größeren Mehrwert bieten als die Hardware.
Arnulf Keese, Digital- und IT-Vorstand der DKB
Gutes Stichwort: Gerade beim Thema Datenschutz gibt es in Deutschland viele Befindlichkeiten. Was muss man Nutzern bieten, damit sie ihre Daten teilen?
Arnulf Keese: Beim Datenschutz handeln Deutsche häufig paradox. Ich habe schon zig Leute getroffen, die sagen, ich würde niemals meine Daten mit einem amerikanischen Unternehmen teilen. Wenn ich dann aber frage: Wo kaufst du online ein? Bei Amazon. Wie hörst du Musik? Mit Apple Music. Womit navigierst du? Google Maps. Ich glaube, diese Zerrissenheit beschreibt auch ganz gut die heutige Zeit. Die Skepsis, unbedarft Daten zu teilen, ist zwar absolut berechtigt. Gleichzeitig ist die Verteufelung von allem, was Daten nutzt, aber auch absurd. Der Mittelweg muss heißen: echte Transparenz und Ehrlichkeit bei der Datennutzung. Es muss sichergestellt werden, dass der Nutzer weiß, wer was mit seinen Daten macht.
Bedarf es dafür staatlicher Regulierung?
Arnulf Keese: Die Frage ist, was das Ziel staatlicher Regulierung ist. Geht es darum, den Nutzer zu schützen oder nur eine gefühlte Sicherheit zu erzeugen? Nehmen wir zum Beispiel die Cookie-Banner auf Internetseiten.
Ein Ziel staatlicher Regulierung muss sein, dass Deutschland sich als Land von Ingenieuren auch an zukünftigen technologischen Entwicklungen beteiligen kann.
Arnulf Keese, Digital- und IT-Vorstand der DKB
Was ist Dein Ausblick für die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz in den nächsten 10 Jahren?
Arnulf Keese: In 10 Jahren wird uns hardwareseitig ein Vielfaches der jetzigen Speicher- und Rechenleistung zur Verfügung stehen. Man muss sich nur anschauen, wie sich die Handys in den letzten 10 Jahren entwickelt haben. Damit werden sich ganz neue Möglichkeiten für KI-Anwendungen ergeben. Wir werden in immer mehr Bereichen Durchbrüche erleben, gerade bei Spielen wie Schach, wo der Computer den Menschen bereits besiegt hat. Aber auch in der Mobilität wird es vorangehen. Das selbstfahrende Auto wird wahrscheinlich früher fertig sein, als wir es gerade zulassen. Erste Feldversuche laufen in den Vereinigten Staaten schon. Zur Mobilität zähle ich aber auch Roboter, die sich mithilfe Künstlicher Intelligenz immer menschenähnlicher bewegen können. Das wird Auswirkungen auf Produktion aber auch auf Dienstleistungen haben. Vielleicht wird ein Roboter zukünftig unsere Mülltonnen leeren. Künstliche Intelligenz hat eben vielfältige Anwendungsmöglichkeiten. Und bestimmt wird sie auch in 10 Jahren noch dazu genutzt werden, Katzenbilder im Internet zu erkennen.